Poker kontrovers – Moral: Anspruch und Wirklichkeit

Die Grundzüge des Pokerspiels scheint er zu verstehen. Der Mann ist leicht angetrunken und macht Fehler.

In ziemlich kurzer Zeit verspielt er seinen ersten 500 € Stack. Nachschub scheint reichlich vorhanden zu sein. Ein 500-er Chip wird aus der Tasche geholt, bereitwillig gewechselt und weiter geht es.

Der Chinese macht weiter Fehler. Er agiert häufig out of turn, macht stringbets und hat offensichtlich das Geschehen am Tisch in keiner Weise auf dem Schirm.

Dadurch gewinnt er einige spektakuläre Pötte, verliert aber insgesamt. Er bestellt pausenlos Nachschub an Bier.

So wie sein Alkoholspiegel steigt, schmilzt sein Spielkapital,

Der zweite Fünfhunderter ist ebenfalls schnell verzockt. Es folgen noch einige weitere aus dem offenbar unerschöpflichen Reservoir des Asiaten.

Als die 500-er Chips verbraucht sind, nestelt er an seinem Geldbeutel, der einen ansehnlichen Stapel 500-Euro Scheine enthält.

Die Mitspieler am Tisch bieten sich freundlicherweise an, für ihn zur Chipskasse zu gehen, um Nachschub zu holen, denn Bargeldwechsel am Tisch war nicht möglich.

Irgendwann ist der Asiate so betrunken, dass er den ohnehin nur rudimentären Bezug zum Spiel komplett verloren hat.

Er ist kaum noch in der Lage in seiner Heimatsprache zu sprechen. Sein Verlust beträgt bereits mehrere Tausend Euro.

Weiteren Alkoholkonsum hat ihm der Floorman bereits verwehrt. Er bekommt eine Tasse Kaffee vom Haus.

Die zweite Situation stammt aus der „guten alten“ 7-Card Stud Zeit zu Anfang der 90er Jahre. 7-Card Stud (7CS), wer kennt es noch?

Bei der Pokervariante bekommt jeder Spieler maximal sieben individuelle Karten. Zunächst zwei verdeckte und eine offene, in weiteren Wettrunden noch drei offene und zum Schluss eine verdeckte Karte.

Es gibt keine Community-Cards wie bei Flopgames, das Prinzip der „Nuts“ existiert deswegen nicht.

Bei 7CS ist die theoretisch verfügbare Information wegen der offenen Karten bei den Spielern maximal.

Dieser Aspekt wurde jedoch bei den meisten Spielern in jenen lang zurückliegenden Zeiten nahezu vollständig außer Acht gelassen.

Viele Spieler, die mit 5-Card Draw groß geworden waren, spielten ihre Karten, ohne die Informationen vom Tisch zu nutzen.

Straightdraws wurden weitergespielt, wenn bei anderen Spielern offensichtlich in Richtung Flush gegangen wurde und Flushes wurden weiter gejagt, wenn Spieler offene Two-Pairs oder sogar Three of a Kind zeigten.

Wer hierbei ein offenes Auge für die bereit“liegenden“ Informationen (in Form von offenen Karten) hatte und daraus die richtigen Schlüsse zog, war klar im Vorteil.

Es war damals recht einfach, die Unkenntnis vieler Spieler in klingende Münze zu verwandeln.

Und darum geht es doch beim Poker, oder? Insgesamt kann man bei Poker mehr Geld durch die Fehler der Gegner gewinnen als durch einen guten „Lauf“.

Wer weniger Fehler macht (oder wer die richtigen Entscheidungen trifft) gewinnt Geld, wer sich gegenteilig verhält, verliert, so lehrte schon David Sklanski.

Das führt uns zum Thema Tableselection. In jedem Grundlagenbuch zum Poker kommt früher oder später die Empfehlung, nach Tischen mit schwachen Spielern Ausschau zu halten, weil es dort leichter ist, zu gewinnen.

Das ist prinzipiell in Ordnung. Allerdings gibt es in Grenzsituationen für mich eine moralische Komponente.

Den Spruch „It’s immoral to let a sucker keep his money“ aus „Rounders“ kann ich nicht uneingeschränkt akzeptieren.

Dieser Satz enthält eine Art von Geringschätzung Schwächeren gegenüber, die für mich nicht in Ordnung ist.

Was bedeutet das bezogen auf die zwei beschriebenen Situationen?

Bei den Stud Games der frühen Neunziger handelte es sich um eine eher strukturell vorhandene Schwäche bei einem Großteil der teilnehmenden Spieler.

Dies durch taktisch korrektes Spiel auszunutzen, finde ich in Ordnung.

Bei dem Beispiel mit dem Asiaten, der irgendwann im Laufe des Spiels nicht mehr Herr seiner Sinne war, sind die Verhältnisse anders.

Der Mann hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Er hat nicht mehr gepokert, sondern sinnlos sein Geld verteilt, was für die anderen Spieler am Tisch durchaus lukrativ war.

Im Laufe des Abends fällte der Floorman des Pokerfloor der Spielbank Berlin eine Entscheidung.

Er wies den Dealer an, dem Asiaten keine Karten mehr auszuteilen und ließ den Mann von der Security zu einem Taxi bringen.

Obwohl alle Spieler am Tisch (ich eingeschlossen) protestierten, halte ich die Entscheidung des Floorman aus heutiger zeitlicher Distanz betrachtet, für richtig. 

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